Mit 171 Mrd. € Umsatz und ca. 580.000 Beschäftigten nimmt die Lebensmittelindustrie volkswirtschaftlich wie auch gesellschaftlich eine strategisch wichtige Rolle in der deutschen Wirtschaft ein. Die Digitalisierung stellt für die Lebensmittelindustrie eine Chance dar, Effizienzsteigerungen durch die Verwertung interner wie externer Daten zu realisieren. Doch bisher sind die in der Lebensmittelproduktion massenhaft erfassten Daten nur Mittel zum Zweck, da das Hauptaugenmerk auf einer lokalen Optimierung der Kosten entlang der Wertschöpfungskette liegt. Beispielsweise werden für die lokale Auswahl natürlicher Rohstoffe, wie u. a. Gemüse, Getreide und Obst, Daten über Rohstoffqualität, saisonale und regionale Verfügbarkeit sowie über die Marktnachfrage erzeugt. Hinzu kommen regulatorische Anforderungen zur Datenerfassung in Bezug auf die Nachverfolgbarkeit der Zulieferketten und Rohwaren.
Für die Verarbeitung der Rohstoffe zu standardisierten Produkten mittels physikalischer, biologischer oder chemischer Verfahren sowie die abschließende Qualitätskontrolle werden ebenfalls Daten in großen Mengen erfasst. Die in diesen Prozessschritten anfallenden Rohdaten sowie deren potentielle Verarbeitung zu nutzbaren Daten wird aktuell nur partiell in lokalen Datensilos pro Produktionsstandort rein zur Optimierung der Produktion durchgeführt. Eine standort- oder herstellerübergreifende wirtschaftliche Verwertung der Daten wird nur in Teilen auf hoher Aggregationsebene durchgeführt, so dass ein Großteil des Datenwertes ungenutzt bleibt.
Dieses brachliegende Potential gilt es genauso professionell zu verarbeiten, wie die übliche optimierte Verwertung physischer Ressourcen in der Produktion. Denn im Kontext einer digitalen Transformation haben Daten zusätzlich das Potential, selbst zu einem Produkt (d.h. Datenprodukt) mit zusätzlichen Verwertungschancen und damit zur Basis einer Datenökonomie zu werden. Die Potenziale digitaler Daten als eigenständiges Wirtschaftsgut werden in Deutschland bisher nur marginal ausgeschöpft. Führt man alle Daten, welche die deutsche Industrie produziert, zusammen, analysiert und verdichtet diese zu Datenprodukten, so entsteht ein überaus großer Digitalmarkt. Dieser wird durch datenschutzrechtliche, ökonomische, strategische und regulatorische Rahmenbedingungen beeinflusst, beschränkt oder auch erst ermöglicht.
Compliance:
Ziel des Projekts EVAREST ist die Entwicklung und Verwertung von Datenprodukten im Ökosystem der Lebensmittelproduktion durch Smart Services. Auf Basis einer über Herstellergrenzen hinweg angelegten offenen, technischen Datenplattform sowie begleitend entwickelten ökonomischen und rechtlichen Nutzungskonzepten werden die (rechts-)sichere Verwertung von Daten als Wirtschaftsgut und die Bereitstellung nutzerspezifischer Smart Services für verschiedene Anspruchsgruppen ermöglicht.
Eine durchgängige Erfassung und Auswertung von Daten würde dem Lebensmittelproduzenten bereits helfen, seine Produktion zu optimieren (lokales Ökosystem). Versteht sich der Lebensmittelproduzent zudem als Datenproduzent, so kann er Datenprodukte anbieten, die auf überregionaler Ebene zu höherwertigen Datenprodukten vernetzt werden (globales Ökosystem). Sie lassen sich zusammen mit Datenprodukten der Düngemittelindustrie, der Finanzindustrie und meteorologischer Institute integrieren, um geographische, ökologische und ökonomische Analysen zu ermöglichen. Dadurch können unterschiedliche Anspruchsgruppen wie Landwirte, Großhändler, Handel, die weiterverarbeitende Industrie usw. Antworten auf Fragen zu Zuständen, Missständen und Prognosen zu Feld- oder Plantagenfrüchten sowohl in Regionen als auch überregional finden. Dies ermöglicht z.B. Finanz- und Versicherungsdienstleistern eine frühzeitige Vorhersage von Preisentwicklungen für Rohstoffe.
Entsprechend hoch ist die Zahlungsbereitschaft für derartige Informationen. Es hilft aber auch dem Lebensmittelproduzenten, Produktionsentscheidungen auf lokaler Ebene zu optimieren, wenn sich beispielsweise lokale Produktqualitäten und globale Marktpreisentwicklungen nachteilig verändern. Ebenso hat ein Landwirt ein Interesse, Zugang zu diesen Datenprodukten zu erhalten, um die Planung der nächsten Saison zu optimieren.
Marktbezogen: Aggregation und Analyse standort- und produzentenübergreifender Datenprodukte: welche Rohstoffe in welchen Sorten in welchem Volumen in welcher Qualität wann wo in allen Lebensmittelbranchen?
Prozessbezogen: Rückwärtsoptimierung der Produktionsparameter durch Identifikation der Input-Parameter, die das Delta aus prognostizierter und tatsächlicher Qualität bzw. Volumen minimieren (Qualität des Rohstoffs, Herkunft, Landwirt, Sorte etc.)
Produktbezogen: Input-Mix-Optimierung zukünftiger Rohstoff-/Vorproduktlieferungen (z.B. Kakaomasse) hinsichtlich Volumen und Sortenzusammensetzung basierend auf Entwicklung der Qualität verwendeter Kakaosorten in der Vergangenheit
Im Zielbild des Forschungsvorhabens werden in Zukunft somit bei der Eingangskontrolle (des Rohstoffs), während der Produktion und in der Qualitätskontrolle neben den eigentlichen Produkten der Lebensmittelindustrie Datenprodukte produziert. Diese stellen den Output lokaler, standortübergreifender oder herstellerübergreifender Smart Services dar und werden verschiedenen Akteuren im gesamten Ökosystem, z.B. dem Handel oder Informations- bzw. Finanzdienstleistern, gegen Entgelt angeboten. Das bedeutet, die in der Lebensmittelherstellung beiläufig anfallenden Daten werden in Datenprodukte überführt und eröffnen auf diesem Weg den Produzenten zusätzliche Erlösquellen.
Aktuell werden Daten am Standort erzeugt und unmittelbar mittels datenanalytischer Dienste zu nutzbaren Datenprodukten auf lokaler Ebene weiterverarbeitet. Dieser bestehende Datenmarkt soll im Rahmen des Forschungsvorhabens EVAREST durch einen datenökonomischen Ansatz unterstützt und in Richtung eines globalen Ökosystems erweitert werden, welches (IoT)-Plattformanbieter in ihrer Rolle als Datendrehscheibe sowie Zulieferer, Informationsdienstleistern als auch Investoren etc. umfasst. D.h., die produzierten und lokal zu Datenprodukten veredelten Daten haben einen Wert an sich, der nachfolgend von Datenverwertern, d. h. Marktteilnehmern, in weiteren Veredelungsschritten angereichert und verwertet werden kann.
In einem dezentral organisierten, globalen Datenmarkt über IoT-Plattformen sind Marktteilnehmer in der Lage auf Datenprodukte der Plattformen aller Datenproduzenten zuzugreifen, diese mittels spezifischer SAS zu aggregieren und neue Datenprodukte zu erzeugen. Durch eine Datenökonomie, die das lokale mit dem globalen Ökosystem koppelt, werden Geschäftsmodelle hinsichtlich eines Datenaustauschs ermöglicht. Dadurch erlangen Datenproduzenten eine Teilhabe am Wert der Datenprodukte, der durch Veredelung mit anderen Datenprodukten (u.a. durch Datenintegration, Datenanalyse, Dateninteraktivität und Kontextualisierung) und Netzwerkeffekte gesteigert wird.
Um Datenprodukte zwischen lokalen und globalen Ökosystemen auszutauschen und eingebettet in Geschäftsmodelle weiterzuverarbeiten, braucht es zudem die Berechtigung, Daten für diese Zwecke zu verwenden. Teil des Forschungsvorhabens ist es, tragfähige Konzepte für den Bereich der Berechtigungen vorzuschlagen. Mittels Smart Contracts soll die ökonomische, sichere und rechtskonforme Behandlung der Datenprodukte im globalen Ökosystem gesichert werden. Ein weiterer globaler intermediärer Datenmarkt entsteht durch Marktteilnehmer, die im erweiterten Umfeld der Lebensmittelproduktion anzusiedeln sind, z.B. Akteure des Finanz- und Versicherungsmarkts. Diese sogenannten Aggregatoren kaufen und nutzen Datenprodukte bzw. vermitteln diese weiter.
Die technische Datenplattform baut auf bestehenden Plattformen auf, um Offenheit und Erweiterbarkeit zu ermöglichen. Sie kombiniert zwei Szenarien: eine dezentrale Analytik auf Basis der TUCANA P2P Plattform ohne zentrale Instanz im globalen Ökosystem, sowie eine zentrale Analytik auf Basis der IoT-Plattform Cumulocity im lokalen Ökosystem. Zwischen beiden Szenarien soll ein dynamischer Wechsel in kontinuierlicher Abstufung erarbeitet werden. Somit bleibt es dem Lebensmittelproduzenten entsprechend seinem Geschäftsmodell für Datenprodukte überlassen, zu entscheiden, wie viele Datenanteile zentral lokal bzw. dezentral global verarbeitet werden.
Zum Projektkonsortium gehören neben dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) als Konsortialführer die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI), die Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli GmbH, das Forschungsinstitut für Rationalisierung e.V. (FIR) an der RWTH Aachen, die Software AG sowie die Universität des Saarlandes. Darüber hinaus unterstützen die BVE e.V. und das DIL e.V. das Projekt als assoziierte Partner.
Die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) analysiert und bewertet alle aktuellen, relevanten Fakten, Informationen und Nachrichten zum Agrarmarkt. Die Fakten-Analyse und deren Bewertung ergibt ein objektives Bild über die komplexen und internationalen Märkte der Agrar- und Ernährungswirtschaft. So kann die AMI Unternehmen aktuelle, objektive und unabhängige Marktinformationen und Beratungen bieten, die von den Unternehmen als Basis für Entscheidungen genutzt werden können.
Die Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli GmbH ist ein führender Hersteller von hochwertigen Schokoladenprodukten mit über 14.000 Mitarbeitern und 12 eigenen Produktionsstandorten in Europa und den USA. Lindt hat seine Ursprünge im Jahr 1845 und verkauft seine Produkte inzwischen in über 120 Ländern weltweit und erzielte dabei 2017 einen Umsatz von 4,1 Milliarden Schweizer Franken. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich in Kilchberg in der Schweiz. Des Weiteren besitzt Lindt ein großes Produktionswerk mit verschiedenen Produktionslinien für Schokoladenerzeugnisse in Aachen.
Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) GmbH wurde 1988 als Public-Private Partnership (PPP) gegründet. Es unterhält Standorte in Kaiserslautern, Saarbrücken, Bremen und ein Projektbüro in Berlin. Das DFKI ist auf dem Gebiet innovativer Softwaretechnologien auf der Basis von Methoden der Künstlichen Intelligenz die führende wirtschaftsnahe Forschungseinrichtung Deutschlands. In achtzehn Forschungsbereichen und Forschungsgruppen, acht Kompetenzzentren und sieben Living Labs werden ausgehend von anwendungsorientierter Grundlagenforschung Produktfunktionen, Prototypen und patentfähige Lösungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie entwickelt. Die Finanzierung erfolgt über Ausschreibungen öffentlicher Fördermittelgeber wie der Europäischen Union, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), den Bundesländern und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie durch Entwicklungsaufträge aus der Industrie.
Der Fortschritt öffentlich geförderter Projekte wird zweimal jährlich durch ein internationales Expertengremium (Wissenschaftlicher Beirat) überprüft. Im Rahmen der alle fünf Jahre stattfindenden Evaluierung durch das BMBF wurde das DFKI 2016 erneut sehr positiv beurteilt. Neben den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Saarland und Bremen sind im DFKI-Aufsichtsrat zahlreiche namhafte deutsche und ausländische Hochtechnologie-Unternehmen vertreten. Das erfolgreiche DFKI-Modell einer gemeinnützigen Public-Private Partnership gilt national und international als zukunftsweisende Struktur im Bereich der Spitzenforschung. Das DFKI engagiert sich in zahlreichen Gremien für den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland und genießt weit über Deutschland hinaus hohes Ansehen in der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Derzeit arbeiten 540 hochqualifizierte Wissenschaftler, Verwaltungsangestellte und über 400 studentische Mitarbeiter aus mehr als 60 Nationen an 240 Forschungsprojekten. Das DFKI dient als Karrieresprungbrett für junge Wissenschaftler in Führungspositionen in der Industrie oder in die Selbständigkeit durch Ausgründung von Unternehmen. 96 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden im Laufe der Jahre als Professorinnen und Professoren auf Lehrstühle an Universitäten und Hochschulen im In- und Ausland berufen.
Das Forschungsinstitut für Rationalisierung e.V. (FIR) an der RWTH Aachen ist eine selbständige, landesgeförderte Einrichtung an der RWTH Aachen für angewandte Forschung. Als Partner der Unternehmen und der Wirtschaft entwickelt das FIR Leitbilder für die moderne Betriebsorganisation in den Bereichen Produktions-, Dienstleistungs- und Informationsmanagement und Business Transformation. Im Bereich Dienstleistungsmanagement kann das FIR auf die Erfahrung zahlreicher Beratungs- und Forschungsprojekte sowie existierende Netzwerke zurückgreifen.
Im Rahmen der Campus-Initiative an der RWTH Aachen verantwortet das FIR das Cluster Logistik. Ausgerichtet auf eine völlig neue Form der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie werden die komplexen Zusammenhänge in realen Produktions- und IT-Umgebungen erlebbar gemacht. Herzstück bildet das Enterprise-Integration-Center (EICe; www.eice.de). Neben drei InnovationLabs, in denen der inner- und überbetriebliche Daten- und Informationsaustausch dargestellt wird, bietet die am FIR implementierte reale Produktion eine direkte Anwendungs- und Testumgebung in einer echten Wertschöpfungskette. Zahlreiche Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit der Industrie bieten eine geeignete und herausfordernde Plattform für die Erarbeitung innovativer Lösungen. Das FIR nimmt außerdem teil am Exzellenzcluster Produktionstechnik. Dies ist ein Zusammenschluss von produktionstechnischen Forschungsinstituten der RWTH Aachen im Exzellenzcluster „Integrative Produktionstechnik für Hochlohnländer“ mit dem Ziel, aus der Produktionstechnik heraus Beiträge zur Erhaltung arbeitsmarktrelevanter Produktionen in Hochlohnländern zu liefern.
Die Software AG ist das zweitgrößte Software-Unternehmen Deutschlands und erzielte 2017 einen Umsatz von 879 Millionen Euro. Sie beschäftigt 4.300 Mitarbeiter und ist in 70 Ländern aktiv. Mit der „Digital Business Platform“ der Software AG können On-Premise- und Cloud-Systeme auf einer einzigen Plattform zusammengeführt werden. Dank der einzigartigen Kombination aus Prozessen, Datenintegration und Echtzeit-Analyse können Organisationen ihren Geschäftsbetrieb rationalisieren, Systeme modernisieren und Prozesse optimieren, um bessere Entscheidungen zu treffen und exzellente Services zu bieten. Seit über 45 Jahren steht die Software AG für kundenzentrierte Innovation und ist dabei führend in zahlreichen Marktsegmenten.
Die juris-Stiftungsprofessur für Rechtsinformatik, die seit 2014 an der Universität des Saarlandes besteht, forscht an der Schnittstelle von Recht und Informatik, unter anderem zu technischen und rechtlichen Aspekten des Datenschutzes sowie der IT-Sicherheit. Sie ist eingebunden in die rechtswissenschaftliche Fakultät, das Institut für Rechtsinformatik und das CISPA. Das „Center for IT-Security, Privacy and Accountability“ (CISPA) an der Universität des Saarlandes (UDS) wurde im Oktober 2011 gegründet und hat sich seitdem zu einem der führenden Forschungszentren für IT- Sicherheit mit hoher internationaler Strahlkraft entwickelt. Es vereint die IT-Sicherheitsforschung des Fachbereichs Informatik sowie der Partnerinstitute auf dem Campus, dem Max-Planck-Institut für Informatik, dem Max- Planck-Institut für Softwaresysteme und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
Die BVE ist der wirtschaftspolitische Spitzenverband der deutschen Ernährungsindustrie. Seit ihrer Gründung 1949 vertritt sie erfolgreich die branchenübergreifenden Interessen der Branche gegenüber Politik, Verwaltung, Medien, Öffentlichkeit und Marktpartnern.
In der BVE haben sich über Fachverbände und Unternehmen alle wichtigen Branchen der Ernährungsindustrie – von den alkoholfreien Getränken über Fleisch und Süßwaren bis hin zum Zucker – zusammengeschlossen.
Das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik e. V. ist ein außeruniversitäres Forschungsinstitut das mit rund 200 Experten der Lebensmitteltechnologie und der Lebensmittelwissenschaften international tätig ist. Das DIL operiert in den Bereichen Lebensmittelsicherheit & Authentizität Struktur & Verfahren sowie Nachhaltigkeit. Ein Großteil der Forschungsarbeiten liegt im Bereich der angewandten Lebensmittelwissenschaften sodass das DIL seine Partner kontinuierlich im Innovationsprozess als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis unterstützt.